A Portrait

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A Portrait

The Nazi era shaped his life. The lines portraying the 74-year-old still change today, from when he first encountered the regime and the obligation to join the Hitler Youth. Otfried Rost, born 1927 in Chemnitz, where he also grew up, had as a ten-year-old his first experience with music, one that would follow him his whole life. An uncle brought tango recordings from Argentina. Looking for more of this music, he discovers radio broadcasts playing Cuban and Indian music. At the age of twelve he encounters jazz. He is ecstatic. But then comes the shock: this is «nigger music made by niggers, gypsies and Jews.» So goes the description in a 1939 article about jazz. Until then Otfried did not know who made this music. He must decide to where it belongs. He does not feel subhuman and decides to stay true to his affinity. Then he reads Mein Kampf, the book in every home.

«Now I was sure whose side I was on.»

The twelve-year-old tricks his way out of serving in the Hitler Youth and lives over three years in constant fear it could go wrong. During the time at the air defense (Flak) and the military, there are like-minded cliques. The boys listen to the radio and jazz records unbeknownst to the adults. Otfried Rost is drafted in early 1945 and wounded at the end of April. He manages to walk by foot from the base hospital in Dresden to Chemnitz, just days before the Russians invade. On the 18th of May, eight days later, the war is over. Otfried finishes high school, but he is reluctant to enter an academic career.

«I wanted to express myself.»

Music was out of the question. From what he had heard, the demands were too great. At 20 years old, he sees the first originals: watercolors by Nolde, paintings by Klee. Otfried Rost enters a drawing class, which gives him a basis in nude drawing and watercolors. He drew it all: his mother peeling potatoes, his father in the garden, people on the street, people in the house and in the yard. He begins a rapid development, going from traditional drawing to abstract images. Between 1946 and 1952 Otfried Rost experienced his most intense period: work and friendships with artists, musicians and women and even organized, when possible in the GDR, jazz events. As his first paintings are exhibited, Schmidt-Rottluff, who still lived in Chemnitz, serving on the panel of judges, saw the young man’s talent. His primary subjects were not unlike those that resonate today: music, women, dancing, cycling. In 1952 Otfried Rost was barred from East Germany’s Association of Visual Artists due to «formal tendencies». Because of his unfavorable reviews in the daily paper, the “Sächsischen Tageblatt”, made it dangerous — no more meal ticket for him. He leaves the GDR. In Berlin he is not acknowledged as a political refugee. Officials at the refugee camp ask him, «Why do you paint such degenerate things?» To make a living he choses work that does not dominate his life and leaves him time to paint. In Gießen, Otfried Rost is hired as a worker in the reproduction department of a newspaper. Then begins an oppressive period: the West Germany of the 1950s, the rearmament and consequent threat of once again being forced to join the hated military, the foreign mentality of the Hessian town. Only after a year can Otfried Rost overcome this isolation. He paints in the morning and at night. Only a few paintings emerge as well as some photography. In Paris, London, Vienna, Hamburg and Frankfurt, with the eye of a painter, Otfried formulates the effect wants to achieve, a record of people in everyday life. His portrayals do not feel observed. The paintings document city neighborhoods, many long since disappeared, with the drama of personal situations. In 1961 Otfried Rost takes his Rollei 6×6 camera for the last time through the suburbs of Paris. He has reached the limits of photographic possibility. Now there are only repetitions. For six years he only makes photos of his small daughter, born in 1962, and his wife with the baby and toddler.

«Without a wife and child my life would be incomplete. It is a happiness that has changed my life.»

His wife and daughter share his loves and interests. They are the first most important critic of his paintings. They understand that he «always tried to express with concentration what I felt and lived». Blues concerts, flamenco, Indian music, tango and old Cuban music as well as friendships with musicians are important to his life and to his paintings. Otfried Rost seeks the expression of an intense situation, dancers and singers, their unity between body and music. People in everyday life, in contrast or involved in their surroundings and scenes of the city. From his portraits and minds, viewers see experience, suffering, old age, loneliness and love.

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Ein Portrait

Die Nazi-Zeit hat sein Leben geprägt. Die Züge des 74 jährigen verändern sich noch heute, wenn er die erste Begegnung mit dem Regime, den Zwang zur Hitler-Jugend, schildert. Otfried Rost, 1927 in Chemnitz geboren und dort aufgewachsen, macht als Zehnjähriger die erste Erfahrung mit der Musik, die ihn sein Leben lang begleiten wird. Ein Onkel bringt Tango-Aufnahmen aus Argentinien mit. Auf der Suche nach dieser Musik findet der Junge im Rundfunk kubanische und indische Musik und mit zwölf Jahren Jazz. Er ist hingerissen. Und dann kommt der Schock: Das ist »Nigger-Musik, die von Niggern, Zigeunern und Juden gemacht wird«. So heißt es 1939 in einem Artikel über Jazz. Bis dahin wusste Otfried nicht, wer diese Musik macht. Er musste sich entscheiden, wohin er gehört. Er fühlte sich nicht als Untermensch und entschied sich für seine Neigung. Danach liest er Mein Kampf. Das Buch hatte damals in allen Haushalten zu stehen.

»Jetzt war mir klar, mit wem ich es zu tun habe.«

Der zwölfjährige drückt sich vor dem HJ-Dienst mit Tricks und lebt über 3 Jahre lang in ständiger Angst, es könnte schiefgehen. Während der Zeit bei der Flugabwehr (Flak) und beim Militärdienst gibt es gleichgesinnte Cliquen. Die Jungen hören im Radio und von Platten Jazz, ohne dass die Erwachsenen es mitbekommen. Otfried Rost wird Anfang 1945 eingezogen und Ende April verwundet. Er schafft den Weg vom Lazarett in Dresden nach Chemnitz zu Fuß, wenige Tage vor dem Einmarsch der Russen. Am 1. Mai wird er 18. Acht Tage später ist der Krieg zu Ende. Otfried holt sein Abitur nach, es widerstrebt ihm aber eine akademische Laufbahn einzuschlagen.

»Ich wollte mich ausdrücken«.

Musik kam nicht in Frage. Dafür war der Anspruch durch Gehörtes zu groß. Mit 20 Jahren sieht er die ersten Originale: Aquarelle von Nolde, Bilder von Klee. Otfried Rost geht in einen Zeichenkurs, verschafft sich eine Grundlage im Akt-Zeichnen und Aquarellieren. Er zeichnet einfach alles: Seine Mutter beim Kartoffelnschälen, seinen Vater im Garten, Leute auf der Straße, Menschen im Haus und auf dem Hof. Eine rasche Entwicklung vom traditionellen Zeichnen zu abstrakten Bildern beginnt. Zwischen 1946 und 1952 erlebt Otfried Rost seine intensivste Zeit: Arbeiten und Freundschaften mit Malern, Musikern und Frauen sowie selbst organisierte Jazz-Veranstaltungen sind in der DDR noch möglich. Seine ersten Bilder werden ausgestellt, Schmidt-Rottluff lebte noch in Chemnitz und sah in der Jury die Begabung des jungen Mannes. Schon damals waren seine Themen wie bis heute: Musik, Frauen, Tanz, Radrennen. 1952 wird Otfried Rost wegen »formalistischer Tendenzen« aus dem Verband bildender Künstler in der DDR ausgeschlossen. Keine Lebensmittelkarte mehr, wegen seiner unliebsamen Kritiken im »Sächsischen Tageblatt« wird es gefährlich. Er verlässt die DDR. In Berlin wird er nicht als politischer Flüchtling anerkannt. Der Beamte im Flüchtlingslager fragt: »Warum malen Sie auch entartet?«. Zum Lebensunterhalt entscheidet er sich für eine Arbeit, die sein Leben nicht besetzt und ihm Zeit lässt zu malen. Otfried Rost wird in Gießen als Hilfsarbeiter in der Reproabteilung einer Zeitung eingestellt. Für ihn beginnt eine bedrückende Zeit: Das Westdeutschland der 50er Jahre, die Wiederbewaffnung und damit die Gefahr, noch einmal zum verhassten Militär eingezogen zu werden, die fremde Mentalität der Menschen in der hessischen Kleinstadt. Die Isolation kann Otfried Rost erst nach einem Jahr überwinden. Er malt vormittags und nachts. Nur wenige Bilder entstehen. Die Fotografie kommt dazu. In Paris, London, Wien, Hamburg und Frankfurt macht Otfried Rost mit den Augen des Malers, der eine Bildwirkung erreichen will, Aufnahmen von Menschen im Alltag. Sie fühlen sich nicht beobachtet. Dokumente von heute verschwundenen Stadtteilen mit der Dramatik persönlicher Situationen entstehen. 1961 geht Otfried Rost zum letzten Mal mit seiner 6 × 6 Rollei durch Vororte von Paris. Die Möglichkeiten der Fotografie sind für ihn an eine Grenze gestoßen. Jetzt gebe es nur noch Wiederholungen. Er macht sechs Jahre lang nur noch Aufnahmen von seiner kleinen Tochter, die 1962 geboren wird. Und von seiner Frau mit dem Baby und Kleinkind.

»Ohne Frau und Kind wäre mein Leben unvollständig, es ist ein Glück, sie haben mein Leben verändert.«

Frau und Tochter teilen seine Lieben und Interessen, sie sind die wichtigsten und ersten Kritiker seiner Bilder. Sie verstehen, dass er »immer versucht, was ich gefühlt und gelebt habe, konzentriert auszudrücken«. Blues-Konzerte, Flamenco, indische Musik, Tango und alte kubanische Musik und Freundschaften zu Musikern sind wichtig für sein Leben, also für seine Bilder. Otfried Rost sucht den Ausdruck einer intensiven Situation, Tänzer und Sänger, ihre Einheit zwischen Körper und Musik. Menschen im Alltag, im Kontrast oder eingebunden in ihre Umgebung und Szenen der Großstadt. Aus seinen Portraits und Köpfen schaut den Betrachter Erfahrung, Leid, Alter, Einsamkeit und Liebe an.

Maja von Szczepanski, January 2002